| Mit TNT in den Märtyrertod Es ist 09.45 Uhr, als ein roter Fiat auf die Menschenmenge zufährt. Wenige Sekunden später erschüttert eine ohrenbetäubende Detonation an diesem Morgen des 06. Novembers 1998 den Mahane Yehuda Markt in der Jerusalemer Innenstadt. Die Druckwelle schleudert Menschen zu
Boden, Gliedmaßen werden abgerissen und scharfkantige Splitter fliegen umher. Den kurze Zeit später eintreffenden Rettungs- kräften bietet sich ein Bild des Grauens, wie schon so oft in den vergangenen Jahren. Erneut haben islamische Terroristen zugeschlagen, und wieder einmal sind zufällig anwesende Menschen die Opfer eines verheerenden Selbstmordanschlages: Männer, Frauen und Kinder, Jung
und Alt. Die Bilanz: Zwei Tote und mehr als 20 Verletzte. Die beiden Attentäter waren auf der Stelle tot. Den Überlebenden wird, auch nach dem Verheilen der körperlichen Wunden, ein lebenslanger Schmerz bleiben. Zu diesem Anschlag bekennt sich die Gruppe Palestinian Islamic Jihad. Die bis dato letzte menschliche Bombe (29. Oktober 1998 auf einen Schulbus) stammte von der Terrororganisation Hamas.
Selbstmordanschläge sind die medienwirksame und angsteinflößende Terrorwaffe der 90er Jahre. Flugzeugentführungen durch Terroristen, wie sie in den 70er und 80er Jahren erfolgten, haben ausgedient - zu gut sind Antiterroreinheiten darauf vorbereitet. Nur wenig ist bekannt über die jungen Menschen, die sich mit einem Lächeln auf den Lippen bereitwillig in die Luft sprengen und eine Vielzahl unschuldiger Menschen in den
Tod reißen. Was ist das Motiv, das hinter diesen Taten steckt? Wie sieht der Selektions- prozess aus, und wie werden sie auf ihre Tat vorbereitet? Welche psychologische Wirkung haben Selbstmordattentate? Und wie können sich Sicherheitsbehörden vor dieser heimtückischen Waffe schützen? Fragen, auf die der folgende Bericht Antworten liefert. Selbstmordattentäter - der wandelnde Tod Der Erfolg ihrer Mission ist nur durch ihren Tod
möglich. Selbstmordanschläge sind die medienwirksamste und furchteinflössendste Terrorwaffe. Sie haben das Medienspektakel der Flugzeugentführung als Terrorwaffe der 70er und 80er Jahre abgelöst. Weltweit haben elf Terrorgruppen diese heimtückische Waffe eingesetzt (siehe Kasten). Die tamilische LTTE auf Sri Lanka ist die einzige separatistische Organisationen, die gegenwärtig Selbstmordattentate ausführt (182 Selbstmordattentate von 1980 - 2000).
Alle anderen sind religiös motiviert (insgesamt 103 Selbstmordattentate). Der erste und bisher einzige Selbstmordanschlag einer linksextremen Terrorgruppe erfolgte im Januar diesen Jahres in der Türkei, aus Protest gegen das Vorgehen der Polizei während einer Gefängnisrevolte. Das Mittel des Selbstmordattentates setzten Terrorgruppen ein, wenn sie stark und schwach sind. Die kurdische PKK verübte zwischen 1996 und 1999, in einer Zeit
schwerer Niederlagen, 21 Selbst-mordanschläge. Trotz ihrer erfolge verübt die tamilische LTTE suizidale Aktionen. Selbstmordattentatte haben sich mittelbar als sehr wirksam erwiesen. Die LTTE entschloss sich 1991 den ehemaligen indischen Premierminister Rajiv Gandhi zu ermorden, da sich Indien im Falle seiner Wiederwahl militärisch auf Sri Lanka engagiert hätte. Durch die Selbstmordkampagne der HAMAS wurde der hoffnungsvoll begonnene
Friedensprozess im Nahen Osten lahmgelegt und Premierminister Perez verlor die Wahlen. Die Selbstmordattentate der Hisbollah in den 80er Jahren im Libanon führte zum Rückzug amerikanischer und israelischer Truppen aus dem Libanon. Während islamische Terrorgruppen meistens unbestimmte Menschengruppen als Opfer aussuchen, setzt die LTTE Selbstmordattentate ein um gezielt Führungspersonen zu ermorden.
Israelische Sicherheitsbehörden, die immer wieder mit dieser verheerenden Terrorismus- form konfrontiert werden, definieren den Selbstmordangriff wie folgt: “Es handelt sich um eine operative Methode, deren erfolgreicher Einsatz vom Tod des Terroristen abhängt.” Der Terrorist ist sich völlig bewußt, dass wenn er sich nicht umbringt, der Anschlag nicht erfolgen wird. Das Attentat erfolgt, wenn der Täter den Sprengsatz, den er an
seinem Körper trägt oder in seinem Fahrzeug mitführt, zündet. Nicht alle Anschläge, bei denen der Täter ums Leben kommt, sind Selbstmordanschläge. Zu dieser Kategorie gehören folgende Aktionen nicht: Der Terrorist führt den Anschlag aus, mit dem Wissen dass er mit hoher Wahrscheinlich- keit getötet werden wird. (Amoklauf in einer Gegend mit viel Polizei).Manchmal bereiten sich Terroristen auf den möglichen Tod vor. Sie schreiben ihr Testa-
ment oder nehmen an einer Art “Totensalbung” teil.Einige Terroristen führen Giftkapseln oder Sprengstoff mit sich. Sie planen, sich im Falle einer Festnahme zu töten. Eine Kampfgruppen der in Sri Lanka operierenden LTTE ist dafür bekannt, Giftkapseln mitzuführen.Inhaftierte Terroristen (wie beispielsweise der RAF und der nordirischen PIRA) treten in den Hungerstreik.In manchen Fällen wissen die Täter nicht, dass sie bei dem Attentat umkommen werden.
Von der PIRA ist bekannt, dass sie in zumindest einem Fall einen vermeintlichen Verräter eine Bombe transportieren lies. Der Sprengsatz detonierte, als er noch in der Nähe war.Beim deponieren der Bombe kommen immer wieder Terroristen ums Leben. Ursache ist die vorzeitige Zündung durch einen Konstruktions- oder Handhabungsfehler, nicht aber der Wille zur Selbstopferung.Warum das Selbstmordattentat in den Augen der Terroristen eine so vorteilhafte Waffe ist
Terroristen setzen den Selbstmordanschlag als strategische (z.B. Einschüchterung der Bevölkerung) und taktische Waffe (z.B. Ermordung von Polizeioffizieren) ein. Die Vorteile liegen auf der Hand: Selbstmordattentate führen zu einer Vielzahl von Verletzten und einem hohen Sachschaden.Selbstmordanschläge sorgen für eine intensive Medienberichterstattung. Es dokumentiert der Öffentlichkeit die Entschlossenheit und Opferbereitschaft der Täter. Viele Tote und Verletzte,
meist Zivilisten, sind zu beklagen.Obwohl Selbstmordattentate eine sehr einfache und primitive Art des Angriffes darstellen, garantiert diese Vorgehensweise, dass der Angriff zum richtigen Zeitpunkt und am für die Täter günstigsten Ort erfolgt. Terroristen können so viel genauer die Anzahl der Opfer steuern. Eine Zeitbombe kann zwar auf einen Zeitpunkt gestellt sein, wenn z.B. viele Menschen einen Marktplatz aufsuchen. Doch ist für die Täter nicht genau vorherzusehen, ob
sich die Passanten erst eine Minute später in unmittelbarer Nähe befinden. Mit dem Selbstmordattentat kann diese Lücke geschlossen werden. Der Selbstmordattentäter ist im Grunde eine fortschrittliche Bombe, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Explosion gebracht werden kann. Sobald der Attentäter seinen Einsatz beginnt, d.h. er sich auf dem Weg zum Anschlagsort befindet, ist es so gut wie unmöglich, ihn zu stoppen. Aber auch wenn es den Sicherheitskräften gelingen sollte, ihn
festzunehmen, bevor er den Ort des geplanten Anschlages erreicht hat, kann er den Sprengsatz vorzeitig zünden und so Sicherheitsbeamte töten. Bei Attentaten, bei denen der Täter überleben möchte, ist die Flucht nach dem Anschlag ein wichtiges Element der Planung. Terroristen verzichten oft auf spektakuläre Attentate, da ihnen die Flucht nicht möglich erscheint. Beim Selbstmordanschlag ist keine Fluchtplanung erforderlich.
Da bei dem Attentat der Täter getötet wird, riskiert die Terrorgruppe keine Rückschläge, da die Sicherheitsbehörden den Täter nicht verhören können.Terrorgruppen, die Selbstmordanschläge verüben, stammen aus dem Nahen- und Mittleren Osten, sowie aus Asien. Islamische Selbstmordattentäter sorgen für mehr Schlagzeilen. Doch die Selbstmordanschläge der tamilischen Terrorgruppe LTTE (kämpft für eigenen Staat in Sri Lanka) übertreffen die islamischen Terrorgruppen bei weitem. Ihre
Taktik ist sehr ausgeklügelt, und zu den Opfern gehören auch Staatschefs. Die Tradition des Märtyrertodes im Islam Die Ursprünge reichen bis ins Jahr 620 n. Chr. zurück. Als Ali, der Schwiegersohn des Propheten Mohammed, erfuhr, dass sein Schwiegervater im Schlafe ermordet werden sollte, legte sich in das Bett des Propheten. Die Attentäter erkannten jedoch den Täuschungsversuch und verschonten daher Alis Leben. Moslems glauben, Allah hätte Ali bewahrt, da
er bereit war, sein Leben für den Begründer des islamischen Glaubens zu opfern. In Alis Augen war der Märtyrertod ein erstrebenswertes Ende, das göttliche Gnade verhieß. Die eigentliche Anziehungskraft des Märtyrer-todes geht auf ein Ereignis im Jahre 680 n. Chr. zurück, dem die Schiiten jährlich mit dem Muharam-Fest gedenken. Der Imam Hussein (ein Sohn Alis) trat mit nur 72 seiner Kämpfer bei Kerbala (im heutigen Irak)
einer feindlichen sunnitischen Streitmacht entgegen. Bei diesem Himmelfahrtsunter- nehmen wurden Hussein und seine Gefolgsleute nieder-gemetzelt. Dem Glauben der Schiiten zufolge gelangten sie von dort direkt ins Paradies in die Nähe Allahs. In den Augen islamischer Terrorführer ist der im Westen verwendete Begriff des “Selbstmordanschlages” falsch, denn der Koran verbietet ausdrücklich den Selbstmord.
Sie bezeichnen eine solche Tat als Märtyrertod, wobei der Attentäter möglichst viele Ungläubige angreift und im Verlaufe der Konfrontation getötet wird. Ziel ist der Tod des Gegners, nicht der Suizid. Der Koran sieht Ungeduld und Hoffnungslosigkeit als Ur- sachen für den Freitod, weshalb er ihn als Sünde bezeichnet. Dennoch wird diese Attentats- form im weiteren Verlauf des Berichtes als Selbstmordanschlag bezeichnet werden. “Mit dem ersten Blutstropfen des
Attentäters, der den Boden berührt, tritt er ins Paradies ein”, sagt Hamas-Führer Scheich Yassin. Diese Todesart stellt für islamische Fundamentalisten den Heldentod dar, der von Allah und der Umma (Gemeinschaft der Gläubigen) besonders bewundert und vergütet wird. Es ist eine Ehre, für ein solches Unternehmen ausgewählt zu werden. Der Märtyrertod wird als eine Form der religiösen Hingabe angesehen. Er ist ein Akt der Selbstopferung für eine
heilige Sache. Islamische Fundamentalisten begründen dies u.a. mit der dritten Sure des Korans: “Und ihr dürft ja nicht meinen, daß diejenigen, die um Allahs Willen getötet werden, wirklich tot sind. Nein, sie leben im Jenseits und sind umsorgt von Allah!” Nach Einschätzung israelischer Terrorismusexperten gibt es seitens islamischer Terroristen vier Motive, die zum Einsatz von Selbstmordattentätern führen: Das Martyrium anstreben,
dem Gegner Verluste zufügen, die moslemische Welt ermutigen und den Kampfgeist des Gegners schwächen. Auswahl und Vorbereitung der Selbstmordkandidaten Da sich die Mehrzahl der Selbstmordanschläge gegen Israel richtet, wird die Auslese und Vorbereitung der “Märtyrer” anhand der gängigen Praktiken der Hamas (Islamische Widerstandsbewegung) und des Palestinian Islamic Jihad (Palästinensischer Islamischer Heiliger Krieg) dargestellt. Diese beide
fundamentalistischen Gruppierungen sind in den besetzten Gebieten, dem palästinensischen Autonomiegebiet und Israel aktiv. Den Erkenntnissen israelischer Sicherheits-behörden zufolge, sind die poten-tiellen Selbstmordkandidaten in der Regel zwischen 18 und 27 Jahre alt, verfügen über eine geringe Bildung und hatten einen engeren Freund oder Familienangehörigen, der während der israelischen Besatzung gedemütigt, inhaftiert, verwundet oder erschossen wurde. Sie
selbst sind arbeitslos, stammen aus ärmlichen Verhältnissen und haben sich bisher am Widerstand gegen die israelischen Besatzer nicht beteiligt. Sie schämen sich ihrer Passivität. Im Akt der Selbstopferung für den heiligen Kampf des Islams sehen sie die Möglichkeit der Rehabilitierung und Erlangung des Märtyrerstatus. Da sie den israelischen Sicher- heitskräften bisher nicht aufgefallen sind und kein kriminelles Vorleben haben, können sie
unerkannt an ihr Anschlagsziel gelangen. Ein weiterer Punkt ist, neben dem Ansehensgewinn für die Märtyrerfamilie, die zu erwartende Versorgung der Familie nach Ausführung des Selbstmordanschlages. Die Hamas zahlt de n Familienangehörigen ca. 6.000 USD als finanzielle Unterstützung; Schulbildung für die Kinder und Nahrungsmittel werden ebenfalls zur Verfügung gestellt. Wer die katastro-
phalen Lebensverhältnisse in den besetzten Gebieten kennt, der weiß die Bedeutung dieser Unterstützung durch die Hamas einzuschätzen. Rekrutierungsorte bilden die Flüchtlingslager, Schulen und Moscheen in der Westbank und dem Gaza-Streifen. Der mit der Anwerbung von Selbstmordkandidaten betraute Aktivist unterhält sich zu- nächst unverbindlich mit einer Studentengruppe über das Thema des Opfertodes für Allah
und beobachtet dabei die Reaktionen der Beteiligten. Diejenigen, die an weiteren Diskus- sionen interessiert erscheinen, gelangen in die nähere Auswahl. In der zweiten Phase versucht man diesen Personenkreis davon zu überzeugen, nicht an einem solchen Vorhaben teilzunehmen. Wer dennoch auf der Teilnahme an einer Selbstmordaktion beharrt, wird als potentieller Kandidat angesehen.
Nun folgt, unter besonderer Geheimhaltung, die eigentliche Ausbildung und Vorbereitung auf den selbstmörderischen Akt. Islamische Religionsgelehrte gehen mit den “Anwärtern des Todes” immer wieder die Verse des Korans durch, die die Ehre des Todes für Allah beto- en und glorifizieren. Man verspricht ihnen einen besonderen Platz in direkter Nähe Allahs , umgeben von wunderschönen Frauen und goldenen Palästen.
Unendlich langer Propagandaunterricht mit antiisraelischen Inhalten zeigen den Studenten auf, dass Israel kein Existenzrecht hat und das Land den Moslems gehört. Tests wie der Schmuggel von Waffen durch israelische Kontrollen sollen den Ausbildern zeigen, ob der Kandidat Befehle ausführt, den nervlichen Belastungen standhält und verschwiegen ist. Die letzte Phase verbringen die Selbstmordattentäter in Gruppen von drei bis fünf Perso-
nen, von Familie und Freunden völlig isoliert. Erst unmittelbar vor der Durchführung des Anschlags werden sie im Umgang mit Sprengstoff und Zündmechanismus unterwiesen, um ihnen keine Zeit für einen Sinneswandel zu geben. Eine abschließende religiöse Zere- monie verdeutlicht ihnen noch einmal die Bedeutung ihres Auftrages für den Islam und die unmittelbar bevorstehende Belohnung im Paradies.
Die gesamte Vorbereitungs- und Planungsphase erfolgt unter größter Geheimhaltung. Selbst die Familienangehörigen der Opfer ahnen nichts. Die Mutter des 18jährigen Attentäters Majdi Abu Warda, der sich und 26 andere in einem Bus in Jerusalem in die Luft sprengte, sagte nach dem Anschlag, dass ihr Sohn völlig normal gewirkt habe und nichts auf ein sol- ches Vorhaben deutete. Pschologische Wirkung von Selbstmordanschlägen a) auf die Opfer und die ZielgruppeBereits während des zweiten Weltkrieges verbreiteten die japanischen Kamikazeflieger mit ihren Selbstmordangriffen Angst und Schrecken unter den amerikanischen Schiffsbesatzungen. Auch wenn ihre einsatztaktische Bedeutung gering war, so war die von ihnen verursachte psychologische Wirkung sehr beachtlich.
Die psychologische Wirkung von Selbstmordanschlägen auf die anvisierte Zielgruppe beruht auf der Entschlossenheit der Täter, dem Überraschungseffekt, den geringen Schutzmöglichkeiten, der günstigen Annäherung an die Opfer und der damit verbund- enen zerstörerischen Wirkung. Sämtliche Angriffe auf israelische Ziele erfolgten in für jedermann zugänglichen Menschenansammlungen (Bus, Bushaltestelle und Einkaufszen-
trum). Die Täter waren teilweise als israelische Soldaten oder als orthodoxe Juden verkleidet und nicht als Palästinenser erkennbar. Zeugenaussagen nach Anschlägen belegen dies. Niemandem waren die Attentäter aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes oder Verhal- tens aufgefallen. Die religiöse Begeisterung und Motivation der Täter führt auch dazu, dass sie keinerlei Anzeichen von Nervosität erkennen lassen. Äußere Erkennungszeichen, nach denen
beispielsweise Personenschützer von Politikern Ausschau halten, um mögliche Angreifer im Vorfeld zu erkennen, fehlen hier. Bei den Opfern entsteht das Gefühl der völligen Schutzlosigkeit. Während der Besatzung des Libanons durch Israel führten verheerende Selbstmordanschläge schiitischer Terroristen zum Rückzug der israelischen Truppen. Die Amerikaner, Teil einer multinationalen Truppe in Beirut, verließen nach Selbstmordattentaten auf die US-
Botschaft und eine Unterkunft der Marines das Land. In einem Interview bezeichnet der israelische Politikwissenschaftler Yaron Ezrahi Selbstmordanschläge als eine “psychologische Atombombe”. b) auf die Täter und deren UmfeldDie palästinensischen Bewohner der von Israel besezten Gebiete sind von einem tiefen
Hass gegen Juden beseelt. Ausgelöst wird dieser durch das harte Vorgehen der israelischen Besatzer, die soziale und gesellschaftliche Benachteiligung der Palästinenser, aber auch durch die antiisraelische Aufwiegelung seitens islamischer Fundamentalisten. Dieses explosive Gemisch aus Hass und Perspektivlosigkeit, gepaart mit religiösen Parolen, bildet den Nährboden, aus dem fundamentalistische Gruppen Freiwillige für Selbstmordanschläge rekrutieren. Für die palästinensische Bevölkerung ist jedes Selbstmordattentat ein Befreiungsschlag gegen die übermächtigen israelischen Besatzer. Der Rückzug der israelischen Armee und der Amerikaner aus dem Libanon, ausgelöst durch verheerende Selbstmordanschläge, gibt den islamischen Terrororganisationen das Gefühl, mit ihrer Strategie erfolgreich zu sein. Schließlich haben Hamas und Jihad mit ihren Selbst-
mordaktionen auch die Abwahl des Ministerpräsidenten Peres und somit das Ende eines aussichtsreichen Friedensprozesses im Nahen Osten bewirkt. Portraits der Attentäter an Hausfassaden in den besetzten Gebieten und Sympathiekund gebungen für die Täter und deren Angehörige zeigen den Stellenwert von Selbstmord- anschlägen innerhalb der palästinensischen Bevölkerung. Sumayah Sa´ad sprengte sich an einem israelischen Kontrollposten in die Luft. In einem
Abschiedsvideo richtete die 17jährige ihrer Mutter aus, sie solle “heiter sein und vor Freude Luftsprünge machen, als sei es ihr Hochzeitstag”. Angesichts dieses “Erfolges” werden islamische Terrororganisationen auch in Zukunft die psychologisch wirkungsvolle Waffe des Selbstmordanschlages einsetzen, um ihre Ziele zu verwirklichen. Der einzige Schutz besteht in einem entschlossenen Vorgehen der gefähr-
deten Staaten und einer intensiven Zusammenarbeit der Sicherheits-behörden. Ferner muß der Dialog mit dem Teil der islamischen Welt, der dem Terror ablehnend gegenübersteht, vertieft werden. Die Tradition des Märtyrertodes in Sri Lanka Die LTTE ist weltweit eine der am professionellsten arbeitenden Terrorgruppe. Anders als bei islamischen Terrorgruppe setzt sie häufig Frauen ein. Rund ein Drittel der Selbstmordatten- täter sind Frauen. Das
Trainingsprogramm für Selbstmordaktionen dauert bis zu einem Jahr. Ausgeführt werden solche Anschläge von der Eliteeinheit der LTTE - Black Tigers genannt. An lebenden Hunden und Ziegen testen die Terroristen die Wirkung ihrer Sprengsätze. Die Täter leben oft ein unscheinbares Leben, manchmal mehrere Jahre lang, bis sie in Aktion treten. Ein Minister von Sri Lanka wurde von einem seiner Hausangestellten bei einem Selbstmordanschlag ermordet.
Erstmals zum Einsatz kam die Waffe des Selbstmordattentates 1987 zum Einsatz. Die Armee von Sri Lanka hatte tamilische Rebellen eingekesselt. Das LTTE-Mitglied Miller steuerte einen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in ein Armee-Camp. Die Terroristen nutzen den Selbstmordanschlag, um aus der Umkesselung auszubrechen. Filmaufnahmen der Selbstmordaktion werden den angehenden Angehörigen der Black Tigers gezeigt.
Angehörige von Selbstmordmissionen der LTTE werden zu Volkshelden des Befreiungs- kampfes. Der ausgewählte Täter erhält nur eine einzige Aufgabe im Befreiungskampf: die Selbstmordmission. Versagt er, hat er keinen Beitrag am gemeinsamen Kampf geleistet. Im Gegensatz zu islamischen Terrorgruppen setzt die LTTE Selbstmordattentate als mili- tärisches Mittel ein, um den Feind physisch zu schwächen, und nicht um Angst unter der
Zivilbevölkerung zu verbreiten. Die LTTE hat einen Staatspräsidenten, einen Präsi- dentschaftskandidaten, einen Verteidigungsminister, einen Marinechef und viele Militärbefehlshaber ermordet. Der Tod von Zivilisten ist zwar nicht das ziel des Anschlages, wird aber leichtfertig in Kauf genommen. Der Schutz vor Selbstmordattentaten Die Attentäterin überreichte dem ehemaligen indischen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi eine Blumengirlande. Niemand
erkannte den Sprengsatz unter ihrem Kleid. Als die Bombe explodierte, blieben nur noch Tod und Zerstörung zurück. Selbstmordattentate sind die heimtückischte Waffe der Terroristen - schwer zu erkennen und mit tödlicher Präzision. Sicherheitsbehörden in aller Welt suchen fieberhaft nach Möglichkeiten, solche verheerenden Anschläge im Vorfeld zu erkennen. Seit der Ermordung von Rajiv Gandhi gelten für indische Politiker 18 Meter Sicherheitsab-
stand zur Bevölkerung als Minimum. Die Staatschefin von Sri Lanka wurde 1999 bei einem Selbstmordattentat verletzt. Die Täterin befand sich 12 Meter von ihr entfernt, als sie den Sprengsatz zündete. Auch Israel ist immer wieder Ziel von Selbstmordattentaten radika- ler Islamisten. An belebten Stellen in Israels Städten patrouillieren Soldaten mit Spür- hunden. Die Hunde sollen sprengstofftypische Gerüche wittern. Doch wenn Terroristen den
militärischen Sprengstoff RDX verwenden, sind Spürhunde nutzlos. Dieser Sprengstoff sondert zu wenig Geruchspartikel nach außen ab. Außerdem kann ein Hund nur maximal 30 Minuten ohne Pause eingesetzt werden. Israelische Soldaten und Polizisten sind angehalten, auf die Körpersprache der Passanten zu achten Israelische Sicherheitsbehörden haben eine Checkliste erstellt, in der verdäch-
tige Verhaltensweisen aufgeführt sind. Wenn jemand stark aufgeregt ist, wird viel Blut in der Umgebung des Herzes angesammelt. Dadurch sind die äußeren Extremitäten, wie Hände und Ohren, blass. Da Sprengsätze metallische Komponenten enthalten, z.B. die Verkabelung oder den Zündmechanismus, sind dieses theoretisch mit einem Metalldetektor zu entdecken. Passanten auf einer Einkaufsstraße mit einem derartigen Gerät zu kontrollieren, ist aber nicht realisier-
bar. Der Einsatz von Metalldetektoren ist hingegen bei der Kontrolle einer überschau- baren Menschenmenge denkbar. Effektive Schutzmaßnahmen setzen beim Täter und seinem Umfeld an: Um den Selbstmord- kandidaten herum gibt es verschiedene Beziehungsebenen. Da sind die Familienangehörigen , seine radikalen Ausbilder und Personen, die ihn logistisch Unterstützen. Menschen, die von der Mission wissen oder zumindestens ahnen. Genug Ansatzpunkte für die Infiltra-
tion durch Geheimdienste. Als vor dem erneuten Unruhen die Zusammenarbeit zwischen israelischem und palästinensischem Geheimdienst funktionierte, gelang es häufig, die Attentäter während der Vorbereitungsphase festzunehmen. In einigen Fällen wendeten sich besorgte Vater an die palästinensische Polizei, nachdem ihr Sohn seit tagen nicht mehr aufgetaucht war. Doch damals fürchteten israelische Sicherheitsexperten, der militante Arm der islamischen
HAMAS könnte aufgrund des Fahndungsdruckes Selbstmordattentate außerhalb Israels durchführen. Jetzt, nach den anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern, ist die Gefahr einer neuen Attentatswelle erheblich gestiegen. Es gab vereinzelte Selbst- mordanschläge durch palästinensische Fatah-Anhänger, die aber glücklicherweise wenig ausrichteten. Dies könnte auf eine geringe operative Fähigkeit der Fatah mit dieser für sie neuen Waffe sein.
Aber auch in anderen Regionen scheint die Zukunft nicht allzu verheißungsvoll: Geheim- dienste schätzen, dass die LTTE in Sri Lankas Hauptstadt Colombo gegenwärtig 30 Terror- isten für Selbstmordaktionen bereithält. Und tchechenische Rebellen haben inzwischen auch das Selbstmordattentat endeckt. von P. M. Copyright SecuMag. Vervielfälltigung, auch auszugsweise, ist straf- und
zivilrechtlich untersagt. |